Will-Erich Preukert
DIE GROSSE WENDE
Das apokalyptische Saeculum und Luther
Erster Band
Vorspiel
Die bäuerliche Ordnung
Der Autor beschreibt den Lesern seine persönliche Bedeutung des „cum deo“, das „mit Gott“ bedeutet. Er spüre Gott als den Wirkenden.
In diesem Zusammenhang kommt er auf den Autor Sebastian Franck zu sprechen. Dieser habe ein anderes Verständnis von „cum deo“, denn für ihn bedeutet es die sich vollziehende Geschichte. Deswegen beschäftigte Franck sich mit der Weltgeschichte, die er als eine Reihe aufeinander folgender Wachen zu verbildlichen versuchte.
Er gibt an, dass die Folge der Reiche und Kulturen nicht durch das Gesetz Ursache und Wirkung zu erklären sei, sondern die Folge Ausdruck eines Willens und einer Ordnung sein, auch wenn sich deren Sinn uns nicht unbedingt erschließt. Cum deo geschehen die großen Wandlungen der Geschichte.
So auch die sich vollziehende Änderung der ständischen oder gesellschaftlichen Ordnung. Franck spricht über den Auf- und Niedergang der Völker und Kulturen. Er spricht von einer Ablösung der bäuerlichen Ordnung durch die bürgerliche Zeit. Die ganze Welt befindet sich in einem unaufhaltsamen Wandel.
Welche Auswirkung haben diese Tatsachen auf Deutschland?
In den Jahren 1438/39 vollzieht sich der Übergang vom letzten Luxemburger zu dem Habsburger Albrecht II. Doch Albrecht stirbt früh, bevor sein Sohn Ladislaus, der auch Posthumus genannt wird, geboren wird. Deshalb fällt das Reich an den Vetter Albrechts, Friedrich III., der das Reich über fünfzig Jahre lang regierte. Er war zugleich der letzte in Rom gekrönte deutsche Kaiser und zugleich Vormund von Ladislaus.
Trotz alledem wurde er vom Volk „der faule Kaiser“ genannt. Dies hat seinen Grund darin, dass er großen Auseinandersetzungen nicht hineingegriffen hat. So zum Beispiel die Auseinandersetzungen zwischen der sich erhebenden städtischen Welt und der niedergehenden bäuerlichen, oder die zwischen dem Reich und den territorialen Fürsten, den territorialen Herren und den Städten, oder den Städten und dem Adel.
Doch sein Eingriff hätte eh kaum Auswirkung gehabt, da diese Vorgänge lebendige Entwicklungen sind, die nicht in Zwänge gebunden werden können.
In den Geschichtsbüchern heiße man die Zeit des ausgehenden Mittelalters, die Zeit der großen Erfindungen und Entdeckungen. So wurde das Schießpulver und das Geschütz erfunden und der Buchdruck, ebenso wie der Kompass. Amerika wurde 1492 entdeckt und das Kap der Guten Hoffnung wurde 1487 umschifft.
All diese Entdeckungen und Erfindungen wurden von städtischen Bürgern gemacht und hauptsächlich von kaufmännischen Interessen getrieben. Der bäuerliche Mensch tritt zu Gunsten des Städters zurück.
Es folgen Definitionen des bürgerlichen und des bäuerlichen Menschen.
Der bäuerliche Mensch ist ein Mensch des Ackers. Der Bauer gehört dem Acker und der Acker dem Bauern. Beide begründen aufeinander.
Sichtbar sei dies vor allem in den Jahrhunderten gewesen als die deutschen Heinriche und Ottonen Bauernkönige gewesen sind, die ein Bauernvolk regierten. Gesinnung, Gesittung und Bestimmung erfuhren sie aus dem bäuerlichen Sein. In diesen Zeiten wachsen Kirche und deren Anhängerzahl um ein Vielfaches. Aus einer Fischerreligion wird eine Weltreligion.
Die Kirche wird zu einem Geistesstaat, der über den Machtstaat triumphiert.
Der Autor gibt an, dass Deutschland in den Jahren um 1500 immer noch ein Bauernland gewesen ist, dies aber nur wenigen Menschen dieser Wendezeit bewusst gewesen ist. Sebastian Franck beschreibt ebenso wie Luther die deutschen Landschaften mit Bauernaugen und nicht mit den Augen eines Gelehrten, Philosoph, Priesters.
Im Jahr 1500 leben dreiviertel der Bewohner Deutschland als Bauern auf dem Land. Auch Luther lässt sich durch zwei bäuerliche Güter finanzieren, die in der Nähe Wittenbergs liegen. Auch Luther und Franck sind im Grunde noch Bauern, ebenso wie die Herren und Ritter auf den Burgen, die sich mit Hilfe des bäuerlichen Umlandes ernähren.
Sie wissen, dass sie as den Bauernhöfen und vom Pfluge aufgestiegen sind um mit Hilfe der Krone über die übrig gebliebenen Bauern zu regieren. Der König des Mittelalters war ein Bauernkönig, der über Bauern regierte und dessen Glaube und Denken bäuerlich bestimmt war.
So zum Beispiel hatte der Glaube eine heidnisch-religiöse Besonderheit, die besagt, dass wich einem rechten Bauern seine Felder nicht gedeihen, so gedeiht einem König das Land nicht, wenn Gott ihm seinen Segen verweigert.
Obwohl die bäuerliche Wirtschaft das Fundament des Lebens in den städtischen Siedlungen und auf den ritterlichen Burgen ist, heißt das Wertmaß der Wirtschaft nicht mehr Korn sondern Geld
Sebastian Franck beschreibt 1534 die bäuerlichen Zeremonien als noch gültig, denn Deutschland ist noch ein Bauernland ebenso wie das deutsche Volk noch ein Bauernvolk ist.
Das wissen auch die Menschen, denn Bauer zu sein war der Auftrag Gottes an den Menschen, als er Adam und Eva aus dem Paradies warf.
Die bäuerliche Vorstellung von Gott, ist die eines alten Mannes mit Bart, der Wachstum und Gedeihen gibt und der zwar streng aber auch gut zu seinen Kindern ist. Den Zorn des Bauerngottes vernehmen wir im Gewitter. So ist das bäuerliche Denken im Mittelalter religiös gerichtet. Das gesamte Leben des mittelalterlichen Menschen und alles Irdische werden durch das Religiöse fundiert.
Als das Mittelalter und das mittelalterliche Denken zu Ende gehen, kommt die Reformation, die ein Neu- und Anderswerden der Welt bereiten soll. Die Reformation setzt Martin Luther in die Tat um und damit habe er zerschlagen was vom Mittelalter zurück blieb.
ERSTES BUCH
UNTERGANG
Zeit der Verwirrung
Der faule Kaiser
Da die alten Ordnungen des Mittelalters hinfällig werden, denken die Menschen, dass all das was jetzt geschieht schlecht sein wird.
Im fünfzehnten Jahrhundert zerfällt das „heilige römische Reich“ und die Fürsten des Reiches zersplittern neu in eine kaiserliche und antikaiserliche Partei. Die Fürsten sind gegen den Kaiser, stehen aber untereinander in Bündnissen und Kriegen. Dies führt dazu, dass in den Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts nirgendwo in Deutschland Beständigkeit herrschte, da Grenzen immer wieder neu gesteckt wurden.
Hinzu kam die „in Mode“ gekommene Untreue der Fürsten zueinander. Die Prioritäten der Männer lagen beim Geld anstatt beim Menschen.
In diesen Zeiten herrschten schreckliche Hungersnöte, die auf Grund der geführten Kriege verursacht worden sind. Die Armen konnten sich nicht häufiger als jeden 4. oder 5. Tag Brot leisten. Holz wurde gemahlen und gegessen. Sie lebten von Baumrinde und wilden Früchten. Es kam sogar soweit, dass viele Eltern ihre Kinder verkauften oder vertrieben.
Der Kaiser benötigte für die Kriege jedoch weitere finanzielle Mittel und so schrieb er zu Lasten der Armen neue Steuern und Zölle aus.
Es folgen Aufruhr, Mord und Laster.
Dies sind die Jahre des Untergangs, der nur in sehr großen Zeitabschnitten die Menschheit befällt und dann eingetroffen ist, wenn das Unheil alle menschliche Kraft zu übersteigen scheint.
Es entsteht der Eindruck eines apokalyptischen Jahrhunderts. Das Chaos schien in die Welt eingebrochen zu sein.
Aufrührerische Städte werden von den Truppen des Kaisers gezüchtigt, indem sie gebranntschatz werden. Sie ereilt die Strafe, wie die Strafe ungehorsame Kinder ereilt. Dies ist eine patriarchale Ordnung, die im bäuerlichen Denken der Zeit verwurzelt ist.
Kaiser Friedrich III. klammerte sich gedanklich an das Reich, ihm fehlte jedoch die Kraft und der Mut selbst etwas zu verändern. Er war müde sich zu entscheiden und ebenso müde war die Kultur der er angehörte.
Ihm gegenüber steht Martin Luther. Ein Mann der zu neuen Gesetzen aufbricht und ein Mann des neuen Werdens. Diese beiden Männer bilden unterschiedliche Pole der Zeit. Sie unterscheiden sich durch ihre Taten und ihre Rolle in der Geschichte. Friedrich III. wurde getrieben, er lässt geschehen und die Geschichte ist über ihn hinweg gegangen. Luther aber griff in den Ablauf der Geschichte ein, er machte Geschichte.
Friedrich III. versuchte sich in der Zeit des Untergangs zu halten und sie mit möglichst geringen Blessuren zu überstehen. Dies jedoch führte zu einem noch schnelleren Verfall des Reiches und dessen Untergang.
Politiker
Da der Kaiser willenlos das Reich führte, zerbröckelte dies und die Fürsten des Reiches sahen ihre Chance, schoben ihn beiseite. Sie sahen ihre Chance jedoch nicht in der Politik, sondern im Geschäft das die Politik mit sich brachte.
Als Beispiel für einen solchen Menschen wird der Kaufmannssohn Schlick aufgeführt, der als äußerst geld- und güterhungriger Mann beschrieben wird. Er kam an die Macht, wurde als persönlicher Freund des Kaisers Sigismund Vizekanzler und später auch von Kaiser Albrecht II. übernommen und später nach Verrat an dessen Witwe Kanzler unter Friedrich III. Die erlangte Macht hilft ihm seine Wünsche zu befriedigen.
Schlicks Politik ist kaufmännisch und geschieht nicht aus Leidenschaft. Aus diesem Grunde betreibt er Urkundenfälschungen um so Politiker untereinander auszuspielen und selbst Kapital anzuhäufen. Schlick wird als Meister des diplomatischen Betruges und der politischen Hinterlist charakterisiert.
Nach dem Tode des eben mündig gewordenen Böhmenkönigs Ladislaus, wählten die Böhmen Podiebrad zu ihrem Herrscher. Dieser versprach dem Papst, Böhmen zu rekatholisieren.
Diese Rekatholisierung wurde nach dem Versprechen von Papst Pius II. eingefordert, konnte aber durch Podiebrad nur erfüllt werden, wenn er sein Land in aussichtslose Bürgerkriege stürzen würde. Doch Rom bestand trotzdem auf der Erfüllung des Versprechens.
Der Kaiser unterstützte die Verfügung des Papstes und so kam Podiebrad zu der Erkenntnis, dass der Kaiser und der Papst bezwungen werden müssen.
Podiebrad verbündet sich sodann mit den Feinden Friedrichs III., mit Heimburg, mit dem Ungarnkönig und mit Venedig. Er schloss mit dem Rebellen Jörg von Stein einen Pakt um Aufruhr in des Kaisers eigenen Landen anzuzetteln.
Besagter Gregor Heimburg ist deutscher Anwalt und Politiker und spricht in offenen Schriften gegen den Kaiser, denn er hasst ihn, weil er in der Hand des Papstes ist und aus diesem Grund das Reich in den Abgrund führt. Außerdem hasst er den Papst, weil er das Reich aussaugt und er hasst Polen, da das Land den deutschen Orden überwältigte.
Historiker sehen in Heimburg einen bedeutenden Vorläufer Martin Luther, da er sich ebenso wie Luther der katholischen Kirche und dem Kaiser widersetzte. Ebenso verlangte er eine von römischen Irrtümern freie Kirche.
Der Unterschied zwischen den beiden Männern besteht allerdings darin, dass Heimburg nichts erreichte und ohne Ergebnis starb, Luther allerdings eine neue Kirche schuf.
Der Grund hierfür liegt in der Persönlichkeit Luthers. Er ist ein Mensch, der seine ganzen Bestrebungen und sein ganzes Leben auf eine Sache konzentriert und zielstrebig verfolgt. Im vgl. hierzu wechselte Heimburg seine Wege, Feinde und Methoden häufiger.
Luther fragt nach Grundprinzipien des religiösen Daseins, beschäftigte sich also mit dem unzeitlichen, dem religiösen Glauben überhaupt. Heimburg beschäftigt sich hingegen mit dem zeitlichen, der Kirche und dem Papst.
Gregor Heimburg hat zwar begriffen, dass die alte Kirche falsch und überfällig ist, kann aber keine bessere Alternative vorführen. Auch dies unterscheidet ihn von Luther.
Ain graserin durch kuelen tau
Die Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts spiegelt den Zerfall des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens wider. Die Kunst ist der klare Geist der Zeit.
Besonders beliebt in der Zeit des Untergangs waren Fastnachtsspiele, die von sexuellen Eindeutigkeiten handeln. Die Autoren dieser Fastnachtsspiele schufen jedoch nicht selten auch religiöse Lieder. So zum Beispiel der Meistersinger Hans Folz. Dies spiegelt wider, dass die Menschen dieser Zeit auf der einen Seite ausufernd körperlich sind, auf der anderen Seite allerdings eine starke kirchliche Frömmigkeit aufweisen. Diese Widersprüchlichkeit ist in jedem Menschen zu finden.
Aus den Dichtern dichtet das Wesen der Zeit in der sie leben.
Auch die Sprache der Dichter ändert sich: sie verliert den klaren durchsichtigen Bau. Worte aus dem Französischen, dem Ungarisch, dem Lateinisch, dem Italienisch und einigen weitern Sprachen werden in deutsche Verse gemischt.
Der Mensch dieser Tage versucht aus der Wirklichkeit zu fliehen. Er sucht in romantisch verklärten Rückbesinnungen zu früheren Zeiten Halt und einen Ausweg aus dem Chaos. So versucht er durch eine Zurückgewinnung primitiver Äußerungen primitiver Dichtung in seiner Dichtung Halt zu finden.
Das verborgene Primitive im Menschen kommt wieder zum Vorschein, so wie es in Jahren des Untergangs an die Oberfläche will.
Alchemie
Die Alchemie ist eine überalterte Wissenschaft jener Tage, jedoch kein Betrug oder Taschenspielerei. Sie ist Summe des Forschens und somit eine Wissenschaft, so wie Scholastik eine Philosophie gewesen ist.
Die Alchemie ist eine typisch mittelalterliche Wissenschaft, die im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ihren Hochstand erreichte und zu dieser Zeit die berühmtesten Alchemisten hervorbrachte.
Im fünfzehnten Jahrhundert begnügte man sich mit dem Kopieren und Diskutieren der Worte der Großen. Dies ist typisch für eine untergehende Zeit. Es gibt kein neues Schaffen mehr, nur noch Bewahren und Tradieren.
Die Alchemie des fünfzehnten Jahrhunderts ist eine epigonische Wissenschaft, da sie nicht mehr lebt und vorwärts schreitet.
Die Alchemie hat im Volk den Glanz der Wissenschaft verloren und verkommt zu einer Gold- und Sudelköchin. Ein Beispiel hierfür gibt der Wale Antonius von Florenz. Eine Sammelhandschrift, entstanden um 1470 beschäftigt sich mit ihm und handelt von diversen Goldfundorten im schlesischen Gebirge und weiteren Gebirgen. Im Siebengebirge habe Antonius ein Gut vergraben, das entweder aus purem Gold oder ein alchemistisches Magisterium ist. Hieraus eröffnet sich die Frage, wer Antonius von Florenz eigentlich war. Vielleicht ein Kaufmann aus Florenz oder nicht viel eher ein Italiener, der in Böhmen Alchemist gewesen ist.
Der Wale Antonius wird im Laufe der Zeit zu einer Märchengestalt und sein Gut ein Märchengut. Dieses Ausbleichen der Geschichte ist beispielhaft für ein Verblassen der Alchemie im fünfzehnten Jahrhundert. Grund hierfür ist das müde werden und sterben der Gesellschaft in die die Alchemie verwurzelt ist.
Dörperweise
Der Vater des Kaiserkanzlers Kaspar Schlick war ein Kaufmann, der durch Tuchhandel zu Geld gekommen war und Bürger. Somit ist auch Kaspar Schlick Bürger.
Ebenso wie Schlick, ist der Kanzler des bayrischen Kurfürsten, Martin Mayr Bürger.
Nahezu alle Politiker des fünfzehnten Jahrhunderts Tage sind Bürger. Der Adel überlässt dem Bürger aus der Stadt das Feld und tritt ab.
Die bäuerliche Kultur gerät ins Wanken und kommt zu Falle. Der Autor Sebastian Franck gibt in seinem „Weltbuch“ Einblick in die Einstellung des Jahrhunderts zum Bauern. In schwankhaften Legenden verhöhnt und verspottet er die Bauern und stellt sie als närrisch, albern, ungeschickt und dumm dar. Sie verfallen dem Suff und der Völlerei und geben sich jeder Art von Ehebruch hin.
Dies bedeutet, dass die Spiele den Bürgern in den Städten vorgetragen wurden und nicht dem Bauern auf dem Dorf.
Der Bauer habe seine Ordnung verlassen und ist übermütig geworden. Er möchte lieber Städter oder Ritter sein und hebt sich über die alte Ordnung hinweg. Ihr Verlangen steht nach rittersgemäßen Leben
In diesen Jahren kommt es zu Hungersnöten und Teuerung. Schuld ist Teuerung und Missernte. Der Wucher mit den Lebensmitteln treibt viele Menschen in den Hunger. Viele Lebensmittel werden von s. g. Wucherern aufgekauft und nach längerer Zurückhaltung um einiges teurer wieder verkauft. Es entsteht eine kapitalistische Erwerbs- und Handelsgesellschaft.
Die Bauern fordern zu der Zeit, dass die Kaufmannschaft verboten wird und die Amtleute die Besorgung alles Handels in die Gewalt nehmen.
Sebastian Brant ist jedoch der Meinung, dass die Hauptursache der Hungersnöte darin liege, dass die Bauern ihrem bäuerlichen Leben den Rücken kehren möchten und sich nun mit seidenen Kleidern und goldenem Schmuck bedecken.
Eines steht fest: die Wirtschaft des fünfzehnten Jahrhunderts ist aus den Fugen geraten. Die Welt nähert sich dem Chaos und mit dem Chaos wächst der Hass, die Verbitterung der Menschen und der stände untereinander.
Das zerbrechen der wirtschaftlichen Ordnung bedeutet deshalb ein zerbrechen der Sitte und der Ordnung und lässt das Chaos in die Welt.
Da die Gesellschaft dem Bauern die Schuld an dem Niedergange gibt, versucht sie durch Maßregelung des Bauern die Ordnung wieder ins Gleichgewicht zu bekommen. Der Bauer soll in seinem Übermut gedämpft werden. Die Ritter und Herrscher legen Banne auf Wald, Weide und Gewässer. Dies führt dazu, dass der Missmut der Bauern stetig zunimmt. Forderungen, z. B. nach freier Jagd werden lauter. Auch der Nachweis der Berechtigung zur Zinserhebung wird laut. Die Bauernschaft greift nach den grundherrlichen Nutzungsrechten.
Sie suchen nach einem Ausweg. Diesen wollen sie in der Auflehnung gegen die Unterdrückung finden.
Das Schifflein Petri
Die Kirche des Mittelalters ist aus zweierlei Richtungen zu betrachten. Zum einen ist sie der Inbegriff des geistigen Lebens dieser Zeit und die Summe allen Denkens. Die Kleriker leben mit der Kirche, in der Kirche und schreiben all ihr Wissen und Denken für die Kirche nieder.
Im Gegensatz hierzu steht die Kirche der Laien und des einfältigen Volkes. Diese Kirche ist aus dem bäuerlichen Grunde aufgewachsen und steht für die enge Verflechtung des bäuerlichen Denkens und des Christentums.
Das bäuerliche Leben ist in die Kirche eingebettet und wird im Tagesablauf von dieser bestimmt.
Das Christentum, das von Luther angegriffen wird, ist ein bäuerliches, für Laien typisches Christentum. Luther meldete die Ansprüche einer nach-bäuerlichen Zeit und einer nach-bäuerlichen Kirche an. Somit ist die bäuerliche Kirche Opfer der Kultur geworden. Die alte Kirche war für den Bauern eine gute Kirche, da diese in Rieten das Leben regelte und für den Bauern sittlich machte, da er ein sichtbares und handfestes Christentum benötigte. Mit Anbeginn einer neuen, bürgerlichen Ordnung verliert diese Alte Kirche ihren Bezug und somit ihre Berechtigung.
In den Städten erzählt man sich Pfarrerschwänke von ehebrechenden und buhlenden Pfaffen und von Unzucht in den Klöstern. Der Pfarrerschwank wird sexualisiert. Es stellt sich hier die Frage, ob solche Geschichten dem Pfarrer die Begierde nach sexuellen Freuden eröffnet hat. So fällt die Keuschheit des geistlichen Standes und viele Pfarrer bezahlen Hurenzins an den Bischof.
So wird auch die Kirche als verdorben und verkommen angesehen.
Es wird ein Gegeneinander der sich auf die Apostelgeschichte und Urgemeinde berufende Kirche und der bestehenden damaligen Kirche beschrieben. Ebenso sind die kleinen Leute unter dem Druck der frühen kapitalistischen Ordnung gegen die mit der kapitalistischen Ordnung paktierende, bestehende Kirche.
Die Menschen klagen, dass der Papst das Reich aussaugt und das Geld in Rom verprasst.
Durch das gesamte Mittelalter war das erstrebenswerteste Ziel, die Robe eines Geistlichen zu tragen. Nun hat sich dies aber gewandelt. Die Menschen setzen mehr auf materielle Werte, und die höheren Geistlichen wollen es den reichen Bürgern gleich tun. An die stelle des vorigen tritt ein neues Gesellschaftsideal. Man beginnt sich für das eingefügt sein in die geistliche Ordnung zu schämen, denn man wirkt im geistlichen Kleid antiquiert.
Die Kirche beginnt zu verweltlichen, denn die geistlichen Würdenträger führen sich auf wie Bürger. Mit den Augen der Frommen war dies ein Verbrechen.
Die Kirche sinkt als ein Bestandteil der alten Kultur danieder und muss neu geboren werden. Die Reformation der Kirche steht ins Haus, nicht die Reformation des Glaubens und der Religion.
Epikuräer
Folge des Wissens um den Untergang der Zeit, ist dass sich die sittlichen Ordnungen lockern und eine wüste Zeit beginnt. Denn wenn das Ende unausweichlich scheint, so lebt der Mensch sein Leben, wie es ihm angenehm erscheint. „Carpe diem“ wird zur Lebensmaxime der Zeit, denn er glaubt nicht mehr an das Leben nach dem Tod. Der Mensch übergibt sich der Völlerei und anderen leiblichen Genüssen hin. Ein beliebtes Spiel der Adeligen war es, nach dem Essen zu „maiseln“, das bedeutet, dass sich die Gäste mit Essen bewarfen und anschließend mit schmutzigem Wasser und Mehl übergossen.
Auch sexuelle Fantasien werden ausgelebt, die leibliche Liebe triumphiert über die alten Sittengesetze, die alte Ordnung.
Auch Prunk und üppiges Leben, Spiel und Tanz gehören zum Epikuräismus und gehen Hand in Hand. Der nackte Tanz und das nackte Spiel kommen an den Höfen in Mode, stellen aber im Denken der bäuerlichen Welt Gottlosigkeiten dar. Epikuräisch bedeutet für jene Jahre Frevel und Gottlosigkeit.
Der Traum vom langen Leben und vom Würger Tod
Besonders in Zeiten des Untergangs verspürt die Menschheit eine besondere Angst vor dem Tod. Auch der Bauer steht von nun an seinem Sterben nicht mehr gelassen gegenüber. Die Menschen grauten das gesamte fünfzehnte und das frühe sechzehnte Jahrhundert den Tod. Insbesondere die Verwesung des Körpers machte den Menschen schwer zu schaffen.
Der Tod wurde als halb verwester Leichnam von der Malerei personifiziert. Erst gegen 1500 gibt Holbein dem Tod das Aussehen des Skeletts.
Der Tod ist die Demokratie, denn er unterscheidet nicht zwischen arm und reich, Bauer oder König. Der Tod ist der Feind, dem wir hilflos ausgeliefert sind.
Also sucht der Mensch nach Wegen für ein langes oder gar endloses Leben. Gewissen Menschen sagte man solche Fähigkeiten nach.
DIE SCHULDIGEN
Johannes Lichtenberger
Johannes Lichtenberger war ein Astrologe des fünfzehnten Jahrhunderts, der Versuchte durch das Zusammentragen alter Schriften Voraussagungen zu treffen. Große Unruhen wurden prophezeit. Man stehe unter der Herrschaft des Planeten Luna und vor bedeutsamen Veränderungen und der Zukunft eines furchtbaren, pfaffengegnerischen Kaisers. Es käme zu einer Erhöhung aller Niederen und einer Erniedrigung der Gewaltigen.
Lichtenberger, sowie andere Astrologen versuchten mit Hilfe der Gestirne die Zukunft der Menschen und den Sinn des Lebens zu erkennen. Die Sterne sollen Einfluss auf den Menschen und seine Handlungen haben. Solche Weissagungen sind jedoch gegen die christliche Lehre und somit ketzerisch, denn solche Behauptungen sprechen dem Menschen den von Gott gegebenen freien Willen ab.
Die Transsubstantiation des Bösen
Die Zeit erklärt die Kirche zum Schuldigen am Untergang der Ordnung. Die Menschen befürchten, bzw. die Gelehrten prophezeien den Zorn Gottes, der durch unchristliches Verhalten erregt wird.
Luther geht jedoch noch weiter. Er erklärt 1518 den Papst zum Antichrist, und somit zu jener furchtbaren Gestalt, die für das Volk der Inbegriff der endzeitlichen Angst ist.
Der Antichrist ist laut alter eschatologischer Legende ein Dämon oder gar der Teufel selbst.
In diesen Jahren ist die Kirche mit sich selbst uneinig. Männer wie Luther, andere Priester erkennen dies und suchen die Reinigung der Kirche, indem sie nach der ursprünglichen Form der Kirche fragen. Dabei sind sie geneigt die Kirche mit dem Christentum zu verwechseln. Sie wollen nun eine sich aus biblischen Sätzen zusammensetzende Kirche bauen und zerschlagen zu diesem Zwecke die alte Kirche, an deren Spitze sie den Antichristen sehen.
Also Bedeutet die Reformation eine Besserung und Reinigung der Kirche.
Malleus maleficarum
1508 stellt der Abt von Spanheim eine Schrift fertig, in der es um acht Fragen, die den Kaiser in tiefe Überlegungen stürzen. Sie handeln vom Glauben, der Vernunft und von der Seligkeit. Sie handeln von der heiligen Schrift, der göttlichen Vorsehung und von Hexen.
Er fordert auf Hexen, da sie das Reich in Verderbnis stürzen zu beseitigen. Der Abt denkt, das Hexen und Schwarzkünstler Ursache des Untergangs sind. Hinter sich hat der Abt die Inquisition, den so genannten Hexenhammer.
Tatsächlich sind aber der Glaube an und die Beschuldigung von Hexen die Folge des Untergangs und nicht der Grund für den Untergang. Doch hierin wird im fünfzehnten Jahrhundert nicht unterschieden.
So wurden die Hexen im fünfzehnten Jahrhundert als Schuldige am Untergang verfolgt und getötet. Dies ist geschehen, da alle Zeiten, die vom Untergang überschattet werden, nach einem Schuldigen suchen.
Doch wer wird als Schuldiger angesehen? Es sind all die, die aus dem Rahmen fallen, all die sind schuldig.
Im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts wird das Bild von den Hexen konkretisiert. Sie stehen im Pakt mit dem Teufel und halten ihren Sabbath am Blocksberg. Sie fliegen durch die Luft und begehen Ritualmorde. Sie verzaubern einzelne Menschen und ganze Dörfer und stürzen sie ins Verderben. Sie stehen im Dienste des Bösen, des Teufels.
Die der Hexerei Beschuldigten, werden in Hexenprozessen gefoltert, verhört und getötet, denn man suchte nach weiteren Schuldigen an der Zeit, an der man litt.
Das fremde Volk der Juden
Auch im Mittelalter werden die Juden verfolgt. Sie werden aus den Städten und Dorfgemeinschaften ausgewiesen. Auch die Juden werden für den Untergang der Ordnung verantwortlich gemacht. Genau so wie die Juden bereits einige Male zuvor für Hungersnöte und Epidemien verantwortlich gemacht wurden.
Grund der Verfolgung der Juden ist der vom Christentum abweichende Glaube, der bis hin zu Verfeindung führt. Die Juden sind das Volk, das Jesus den Messias verfolgte und hinrichtete. Somit ist der Jude aller Christen Feind.
Dieses Feindbild verstärkend kommen ab dem dreizehnten Jahrhundert Geschichten über Hostienfrevel der Juden auf. Hostien sollen durch Juden geschändet und gemartert worden sein. Hierdurch wird der Leichnam Christi beschmutzt und verunehrt.
Im Juden wird ab dem fünfzehnten Jahrhundert aber nicht mehr nur der Andersgläubige, sondern auch ein Mensch eines anderen Volkes gesehen. Der Jude ist jener Zeit ein Fremdling, da er sich vom Christen in seinen Sitten und Gebräuchen und oftmals auch im Aussehen unterscheidet.
Hinzu kommt ein wirtschaftlich begründeter Hass, da die Juden im Gegensatz zu den Christen mit Geld handeln dürfen und so Wohlstand erreichen.
Und obwohl die bedeutendsten Geldwechsler und Bankiers oder Wucherer Christen waren, so zum Beispiel die Fugger und die Welser, traf der Hass gegen diesen Berufsstand aber in erster Linie den Juden und gibt Anlass zu neuen Verfolgungen.
Im fünfzehnten Jahrhundert kommt erstmals die öffentliche Zeichnung der Juden durch Zeichen an der Kleidung auf. Darüber hinaus wohnen die Juden in der Judengasse, was sie zu Menschen macht, die neben der Gemeinschaft stehen.
Damit werden sie zum verfluchten Volk der Untergangs.
DAS ENDE
Köln
Die Endschlacht ist die entscheidende Schlacht des Reiches und eine weitere Station des Untergangs. Im Germanischen herrscht ein Wissen um einen endlichen und letzten Kampf. Das Christentum brachte in diese germanische Vorstellung die Hoffnung auf den Sieg.
Bestimmte Zeichen sollen von der sich nahenden Schlacht künden. In den Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts wartet man auf diese Endschlacht, da die Welt in einer Untergangserwartung lebt. Trotz dem Namen „Endschlacht“ fällt die Welt nach Beendigung der Schlacht nicht in apokalyptische oder chiliastische Zustände, sondern lebt real weiter. Prophezeit werden verheerte Dörfer und ausgeraubte und ermordete Menschen. Ein Grausames Leben zwischen Gräbern wird prophezeit. Das Land wird öde und leer.
Die wichtigste Schlachtweissagung des fünfzehnten Jahrhunderts ist die über Köln, die von Lichtenberger angekündigt wird. Es folgt die Aufzählung der menschlichen Vergehen und die Bemerkung, dass nach dem Tode Kaiser Karls kein Kaiser mehr sei. Dies bedeutet das Ende des römischen Reichs und den Untergang.
Als Kampfgegner der Endschlacht wird in diesen Zeiten oftmals der Türke gesehen. Das türkische Heer viel 1453 in Konstantinopel ein und droht dem Reiche nun an der Donau, denn es erhebt Anspruch auf die ungarische Krone. Das Abendland erzittert. Es sollte eine Schlacht bevorstehen, die die ganze damalige Welt umfasste.
Gog und Magog
Die Feinde des Christenvolkes sind die Völker, die in der mittelalterlichen Überlieferung Gog und Magog heißen. Der Endschlacht-Glaube erinnert an die alte vorderasiatische Gog- und Magog-Mythe.
Die Völker Gog und Magog sollen von den Enden der Erde zum letzten Kampf gezogen kommen.
Eine weitere Sage gibt an, dass Alexander der Große die Völker in den Kaukasus getrieben habe und sie dort verschloss durch die Errichtung einer eisernen Mauer.
Im fünfzehnten Jahrhundert hielt man nun die Türken für Gog und Magog, so wie in anderen Jahrhunderten andere Völker für Gog und Magog gehalten wurden. Und so erhält der Türkenkrieg eine eschatologische Bedeutung und wird zu jener letzten Schlacht.
Die Türken müssen in diesem Jahrhundert als Feindbild herhalten, da ihre Einfälle in Polen und Ungarn alle apokalyptischen Vorhersagen übertrifft.
Die Vorhersagen sprechen auch von einem schlafenden König, der erwachen wird. Die Menschen der Zeit sehen Kaiser Friedrich III., der zu nichts entschlossen ist. Ihn umweht die Sage, der eschatologische Retter zu sein und er soll die Türkern bei Köln schlagen.
Doch es stellt sich raus, dass die Schlacht bei Köln weder die Endschlacht, noch die Türken Gog und Magog sind. Hoffnung auf eine bessere Zeit kommt auf, die Türken sollen vom Kaiser besiegt werden. Doch dann, wenn überall auf der Welt Friede herrscht, dann sollen sich die Pforten öffnen und die Völker Gog und Magog entlassen werden und die Welt ins Ende stürzen.
In der Matthäusapokalypse spricht Christus von den Zeichen, die das Ende der Welt vorhersagen. Es kommt zu moralischem Zerbrechen, zu Kriegen, denn ein Reich sei wider das andere. Das Verhalten der Menschen ist jedoch ausgelassen. Sie feiern, essen, trinken und freien.
Der dürre Baum
Bereits im frühen Mittelalter gab es Sagen der Sibylle, einer Weissagerin und Prophetin, ein heidnisches Gegenstück zu den Propheten aus der Bibel. Man spricht insgesamt von zwölf Sybillen, äquivalent zu zwölf Propheten. Eine dreizehnte Sybille wurde später hinzu gedichtet. Sie beschäftigten sich unter anderem mit der Apokalypse. Eine Sage handelt wie folgt:
Nach ungewöhnlich langer Regierungszeit und nachdem er die Völker Gog und Magog geschlagen hat, wird sich der Kaiser auf den Hügel Golgatha begeben. Dort steht das Kreuz Christi und der Kaiser wird seine Krone abnehmen und sie auf das ergrünte Kreuz legen. Somit übergibt er das irdische Reich Gott und das römische Reich geht zu Ende.
Die Legende besagt, dass das Holzkreuz Jesu, aus dem Lebensbaum im Paradies gemacht ist. Seth, ein Sohn Adams holte es aus dem Paradies um seinen Vater zuheilen. Er kam jedoch zu spät. Später liegt das Holz als Steg über dem Bach Kidron und wird von der Königin von Saba, der dreizehnten Sibylle als das Holz erkannt, an dem Jesus sterben wird.
Als der König jedoch seine Krone niederlegt, beginnen die Tage des Antichristen und dieser herrscht über die Erde. Es folgt dessen Bestrafung und das Gericht.
Feierabend
Auch Männer, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang zu den apokalyptischen Schriften stehen, so wie Arbeiter und Künstler, geben sich den apokalyptischen Ängsten hin. Sie warten auf den Untergang.
Die Menschen sind gefangen in der Untergangsgewissheit.
Es heißt, dass die Reiche, die den Geboten Gottes nachkommen auf Dauer bestehen bleiben. Die Reiche, die dies jedoch nicht tun, werden untergehen. Die Reiche lösen sich ab wie Wachen auf ihrem Posten.
Sebastian Franck, ein neuzeitlicher Mensch, teilt die Weltgeschichte in sechs Perioden ein, wobei die letzte Periode von der Geburt des Messias bis zum Untergang der Welt reicht.
Das deutsche Volk ist sich sicher, dass es den bevorstehenden Untergang selbst erleben wird.
Pastor angelicus
Deutsche Gelehrte und geistige Führer, sowie viele kleine Flugzettelschreiber künden dem deutschen Volk vom sich neigenden Tag und dem aufkommenden Gericht.
Das Volk fühlt sich bedroht und schiebt die Weissagungen zurück.
Im Jahre 1400 schreibt Johannes Rothe, dass der Kaiser der Friedens- und nicht der Endzeitkaiser sei. Er wird dem gesamten Reich Frieden bringen. Dies bringt dem Menschen neue Hoffnung
Der Untergang der Welt ist jedoch nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Das wahre Datum des Untergangs weiß jedoch niemand.
Die Franziskaner und die Dominikaner tragen die neue Erkenntnis vom zeitlich fernen Untergang in die Welt hinaus.
Abt Joachim von Fiore erkannte, dass die Geschehnisse im Alten und Neuen Testament sich in allen wichtigen Einzelheiten entsprechen. So kommt er zur Gewissheit, dass es drei Zeiten gibt – die Drei-Zeiten-Lehre entsteht.
Für jedes Reich rechnet der Abt die Dauer von zweiundvierzig Generationen. Die erste Zeit ist die des Gottvaters, die zweite Zeit ist die des Sohnes und die dritte Zeit ist die Zeit des hl. Geistes. Nach der dritten Zeit solle das große Endgericht folgen.
Seine Berechnungen ergaben, dass die dritte Zeit um das Jahr 1260 einsetzen würde.
In Lichtenbergers Sammelhandschrift findet man die Verkündung des Engelspapstes, dem pastor angelicus. Er wird seinen Ruhm in Armut finden und den deutschen Fürsten die Wahl des Kaisers nehmen. Er wird den französischen Karl berufen. Dieser wird der Endzeitkaiser sein, nach dessen Herrschaft das Gericht folgt.
ZWEITES BUCH
REFORMATIO
Alles will neu werden
Der Jüngste Tag kann nur durch eine Reformation hinausgeschoben werden. So soll der Untergang verzögert werden.
„reformatio“ bedeutet in der Zeit, laut Lichtenberg ein „Wiederaufrichten“ und „Erneuern“ der Kirche. Das bedeutet, dass von einem vorherigen Fallen der Kirche ausgegangen wird.
Auch die weltliche Reformation wird als eine Wiederaufrichtung, Besserung und Reinigung der Kirche verstanden.
Auch die Klöster werden reformiert. Die „carta reformationis“ zählt alle im Kloster angetroffenen Missstände auf und ordnet an sie zu bessern. Zum Abschluss wird eine Reformationsurkunde verliehen.
Im Vergleich zu der „reformatio“ von Lichtenberg, steht die „Reformatio Sigismundi“, die die Reformation mit Hilfe der Reichsstädte und Ritter vorantreiben will. Die Reformation Sigismundi ist eine politische Programmschrift eines unbekannten Geistlichen aus den späten Basler Tagen. Hier steht im das Neuwerden im Sinne der Reformation. Alles soll neu gestaltet werden, eine Wiedergeburt soll stattfinden um zur ersten, natürlichen und vollkommenen Ordnung zurück zu kehren.
Dir Reformation, oder deutsche Renaissance, will Staat, Kirche und Wirtschaft ebenso wie das geistige Leben reformieren. Die Reformatio Sigismundi ist somit eine allumfassende und der Kaiser Sigismund ist der Reformator.
Die Reformation bietet der untergangsgewissen Bevölkerung ein Licht in der Dunkelheit, eine Hoffnung.
reformari heißt renasci
Der Kaiser und auch der Rest der Gesellschaft sehen jedoch nur Symptome des Untergangs. Das ist typisch für eine im Untergang stehende Zeit. Das Geschehen selbst wird nie erkannt. Die Gesellschaft geht davon aus, dass sich alles bessert, wenn das ein oder andere Symptom ausgebessert wird und erkennt nicht die Tiefe der Unordnung.
Dies hat zur Folge, dass die geplante Reformation gescheitert ist. Die Reformation wird verraten:
Der Kanzler Dr. Mayer missbraucht den Reformationsgedanken und die Reformation um sich den Namen des römischen Königs zu verschaffen.
Der allgemeine Landfriede, ein Stück der Reichsreformation, ist zu einem Geldgeschäft geworden.
Die Reformation verkommt für die Politiker zu einem Mittel, um sich Geld und Macht zu verschaffen.
DER SCHLAFENDE KAISER
vivit non vivit
Die Unzufriedenheit mit der politischen Führung lässt im Volk die Hoffnung auf den „schlafenden Kaiser“ erwachen. Sie Hoffen auf die Wiedergeburt des deutschen Kaisertums. Sie wollen einen wirklichen Kaiser, der nicht bloß Spielball der Fürsten ist. Sie wollen einen Kaiser, der das Deutsche Reich in seiner Kraft und Herrlichkeit regiert.
In diesem Fall bedeutet die Reformation das Wiederherstellen des alten Zustandes indem das Reich blühte und der Kaiser mächtig war.
Das Volk hofft auf die Wiederkehr des längst verstorbenen Kaisers Friedrich. Der Volksglaube besagt, dass er in einem Berg wartet und eines Tages zurück kommt um das Reich erneut zu regieren. Sie glauben an einen schlafenden Kaiser, an den Kaiser der Endschlacht, an den Kaiser des neuen Zukunftsreiches.
Kaiser Friedrich
Die wirtschaftliche Ordnung scheint die Ursache des Untergangs zu sein. Die Ordnung des Kapitalismus ist hereingebrochen. Nur die vermögenden Reichsstädte sind noch in der Lage eine Reformation zu schaffen.
Der Wunschgedanke der Wiederkehr des Kaisers Friedrich ist ein Mythos, die nun jedoch angedachte Reformation Sigismundi ein politisches Programm. Der Vorteil des politischen Programms ist es, dass es die Möglichkeit zur Umsetzung in die Realität beinhaltet.
Der Ritter von Hermansgrün
Der „Traum des Ritters Hans Lupus von Hermansgrün“ ist eine Schrift, die die Prophezeiung des schlafenden Kaisers Friedrich nutz, um eine Reformation der Fürsten einzuleiten.
Die Zuschrift des Traumes an den Kurfürsten Friedrich führt dazu, dass dieser als der wiederkehrende „dritte Friedrich“ gelten kann.
Die Reformation des Kaisers Friedrich wird zu einer patriotischen Forderung an die deutsche Fürstenschaft. Ein lebender Fürst soll die Reformation in die Hand nehmen und nicht ein längst verstorbener und wiederkehrender Kaiser.
Ritter Hans Lupus von Hermansgrün fordert eine Reformation von oben, der Verfasser der Reformatio Sigismundi fordert die Reformation von unten.
Die Forderung Hermansgrüns ist eine neuzeitliche, denn sie richtet sich auf eine Sache hin, statt auf eine Person, wie in der bäuerlichen Forderung der Reformatio Sigismundi.
BÄUERLICHE WIEDERGEBURT
Uns ist geseit von pauren solh mer
Das neue, wiederkehrende Reich soll ein Bauernreich und der neue Kaiser ein Bauernkaiser sein.
Zur bäuerlichen Tugend gehört aber auch das möglichst große Ausdehnen des Landes bis an die äußersten Grenzen. So auch die Forderung in der Reformatio Sigismundi. Das Reich sollte eine Wiedergeburt des römischen Reiches sein, das sich um den ganzen Erdkreis ausdehnte.
Auch die oberste kirchliche Instanz sollte sich dem Kaiser unterwerfen. Der Papst sollte der Patriarch von Mainz werden. und sich in die Hände des Kaisers geben. Dies stellte die Steigerung der imperialen Ansprüche dar.
Johannes Winterthur berichtete als Meinung vieler seiner Landsleute folgendes:
bei der Wiedergeburt des Kaisers Friedrich wird es so kommen, dass alle armen Frauen und Jungfrauen reichen Männern zur Ehe gegeben werden und umgekehrt. Die Nonnen wird der Kaiser verheiraten und den Waisen und Witwen wird er alles wiederbeschaffen, was ihnen geraubt wurde.
Hieran erkennt man, dass vor allem die Armen und Besitzlosen von einer sozialen Neuordnung träumen. Sie träumen von einer Neuordnung des Besitzes.
In diesen Jahren werden die, die bewegliche Werte oder Geld besitzen als reich bezeichnet. Die Reichen wohnen in der Stadt und sind bürgerliche Menschen. Die Armen leiden am Wucher der frühkapitalistischen Epoche.
Die Menschen hoffen auf eine Reinigung des Reiches von den Schuldigen am Untergang, sie wollen einen Bauernkaiser.
Dieser Bauernkaiser wird die Bauern verstehen und begreifen, denn er kennt als Armer die Armut und den Druck des Kapitalismus. Der Kaiser soll besitzlos bleiben und den Eigennutz verlassen um den Gemeinnutz zu suchen.
Die Reformation stellt eine Erhebung des Kleinen dar.
Adam
Die Wiedergeburt des Kaisertums soll von unten her geschehen und einen Bauern zum Kaiser machen. Er lebe eine unscheinbare Jugend als Bauer, als Armer oder Bettler und er wird gefunden und erkoren das Retteramt zu ergreifen.
Der Ackerbau ist das, was Gott Adam zugetragen hat, daher von göttlichem Auftrag und für den Menschen das Erstrebenswerteste. Der Ackermann ist deswegen näher an Gott und daher die Arbeit, die einem freien Denker steht.
Auch Christus ist auf Erden wie ein Bauer gewandelt. Sein Ziehvater Josef war Handwerker und von Jesus selbst wird in den Evangelien als Schafhirte gesprochen.
Der Ackerbau wird als menschlicher Idealzustand gepriesen. Der Gedanke drängt zur Tat und viele Menschen die sich von der bäuerlichen Welt und dem Seelenfrieden entfernt haben, wollen zu diesem Idealzustand zurückkehren.
Viele Menschen verstehen allerdings unter dem Bauerntum eine romantische Idee und Schwärmerei und gehen mit falschen Vorstellungen ans Werk. Einige stürzen sich in die bäuerliche Arbeit, kehren aber nach kürzerer oder längerer Zeit wieder zu ihrem eigentlichen Leben zurück.
Das alte Recht
Die Verwirklichung der Rückkehr zum Bauerntum fängt so an, dass die Bauern ihre alten Rechte einfordern. Sie sehen die momentane Ordnung als unrecht an. Doch dies ist kompliziert.
Zwei Meinungen stehen sich gegenüber: die eine erklärt, dass sich das ganze Nicht-Ackerland im Gemeinbesitz des Dorfes befand. Die jüngere Meinung besagt, dass schon seit vorgeschichtlicher Zeit grundherrliche Ansprüche oder Rechte auf das Land geltend gemacht wurden.
Die Bauern streben an, alle Weideflächen und den Wald in dörflichen Besitz zu bringen. In Realität ist es so, dass die Dörfer die Mark allein durch Gnade der Grundherrschaft besitzen. Noch häufiger ist es allerdings, dass die Bauern aus alter Gewohnheit die grundherrliche Mark nutzen. Wenn dies lange genug geschieht, sind die Bauern überzeugt, dass der Wald und all das, das sie nutzen ihnen gehört. Sie sehen die Erhebung von Zinsen als Unrecht an.
Außer auf der Übereignung des Landes, bestehen die Bauern auf der Aufhebung der Jagdprivilegien und der Proklamierung des gleichen Rechts auf alle Gewässer.
DRITTES BUCH
INTERMEZZO:
Der Pauker von Niklashausen
Der Bußprediger
Der Ort Niklashausen liegt im Taubertal und besaß zu damaliger Zeit eine Wallfahrtskirche. Hans Böhm war ein aus dem Dorf Helmstett stammender Hirte, der mit kleinen Liedern und mit dem Spiel der Pfeife und der Pauke die Bürger belustigte.
Eines Tages berief sich der Pauker auf eine nächtliche Marienerscheinung auf der Weide.
Bekannt ist, dass der junge Mann unter dem Einfluss eines Bettelmönches stand und sodann joachitische Prophetien verkündete.
Der Pfarrer des Ortes machte sich den leicht zu beeinflussenden, jungen Hirten zu Nutze. Aus ihm sprach das Volk.
Der Pfarrer strickte um den Jüngling ein Netz aus Lügen, das mit Wunderheilungen gespickt war. Er wurde von den Menschen des Dorfes und des Umlandes verehrt, so dass die Kirche als Wallfahrtsort galt und einen hohen Besucherzustrom bekam.
Nach drei Monaten der Wallfahrt schritt der zuständige Kirchenfürst ein und nahm den jungen Hirten fest um ihn nach Würzburg zu führen.
Zwischenzeitlich marschierten über 12.000 Menschen gen Würzburg, um für die Freilassung des jungen Mannes zu kämpfen. Dies alles half jedoch nichts, denn der junge Pauker wurde am nächsten Tag auf dem Scheiterhaufern verbrannt, nachdem er sich unter Folter schuldig erklärt hatte. Die Asche, die im Main versenkt werden sollte, wurde nachts von Anhängern gesammelt und in die Wallfahrtskirche gebracht.
Die Wallfahrt zur Kirche von Niklashausen hört nicht auf, woraufhin die Kirche geschlossen wurde und alle Besucher mit einem Kirchenbann belegt wurden. Letztendlich wurde die Kirche abgerissen.
Der heilige Jüngling
Die Wallfahrten erreichten in Bezug auf Anzahl und Stärke im fünfzehnten Jahrhundert ihren Höhepunkt. Dies ließe sich damit erklären, dass in Zeiten des Untergangs fromme Übungen die Menschen glücklicher werden lassen, außerdem lenken Ortswechsel die gedrückten Gedanken ab.
Hinzu kommt, dass es die Menschen tröstet, dass ein Führer versucht sie aus dem Untergang zu bringen, so wie es der Pauker von Niklashausen getan hat. Somit erklärte sich der Pauker zum Erretter der Menschen aus dem Taubertal.
Ablass und wilde Leute
Der Ablass spricht den Menschen im Mittelalter frei von Kirchenstrafen. Der Ablass verspricht keine Sündenvergebung. Einen Ablass erwirbt man sich durch bestimmte Gaben oder Handlungen. So einen Ablass verspricht der Pauker von Niklashausen all denen, die zur Kirche pilgern und dort ihre Pflicht erfüllen.
Obwohl ein ‚Ablass keine Sünden vergeben kann, werfen einfältige Menschen den Zusammenhang zwischen Sünde, Disziplinarstrafen und Vergebung durcheinander. Und so kommt die Ablassbewegung, auch die im Taubertale, den Bauern entgegen.
Insbesondere Luther griff die schwierige und oftmals falsch verstandene Ablasspraxis an.
An der Wende vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert, war im Volk immer noch ein starker Dämonenglaube verankert, bzw. blühte neu auf.
Figuren wie Frau Holle oder Rübezahl sind für einen Teil der Bevölkerung Realität.
Kobolde sind als gute Hausgeister bekannt, die von den Ahnen geschickt werden und in jedem Bauernhaus zu finden.
Auch Holz- oder Rüttelweiber gehörten fest zum bäuerlichen Dämonenglauben ebenso wie riesige wilde Waldmenschen.
Manche Gestalten verblassen schnell und geraten in Vergessenheit, andere halten sich längere Zeit, bis über die Wende zum vernünftigen Menschen, der Wende vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert hinaus.
Kaiser und Papst sind nichts
Der Niklashausener Prdiger erklärte für sich, dass er weder von dem Kaiser (=Bösewicht) noch dem Papst etwas halte. Er warf den Geistlichen Pfründenwucher vor.
Durch die Äußerung dieser Kritik steht der Pauker von Niklashausen am Wendepunkt zwischen Mittelalter und Neuzeit, kann jedoch keiner der beiden Großepochen richtig zugeordnet werden.
Unter den Zuhörern des Paukers befanden sich Menschen, Bürger aus dem Proletariat. Deren Gedanken strömten ihm zu und deren Gedanken waren es, die er kundgab. Sollen die Papst und Kaiser feindlichen Gedanken auch hierher rühren?
Seine ganzen Predigten wurden von mindestens drei Edelleuten vorangetrieben und inszeniert, damit er als Sprachrohr der Bürger und Bauern fungieren kann.
Die Bauern wollen Weiderechte, Rechte an der Almende, an den freien Marken, - die Bürger fordern Geld und Grund.
Idiota
In den gesamten Umständen, die das Dorf Niklashausen umspielen, treffen sich die Grundkräfte der unterschiedlichen Epochen
Dinge wie der papa angelicus oder der Sohn Gottes als Hirte, sind den Menschen jener Jahre ein fester Begriff und in das Alltagsleben und in den Glauben, eher noch in das Wissen integriert.
Das Reformationsdenken jener Jahre wird von den konservativen und somit rückgesinnten Menschen bestimmt. Sie stehen im Denken einer versinkenden Kultur.
Der Pauker von Niklashausen könnte als ein Vorspiel des aufgehenden Bauernkrieges gedeutet werden. Er ist der Bauernführer und doch saugt er nur das Denken der Masse auf und gibt es wieder.
Neuzeitliche Ideen, bäuerliche Angst und Reformationsgedanken bündeln sich in ihm und machen ihn so zum Symbol des zeitlich-kulturellen Umbruchs.